STADTMUSEUM NAUMBURG
Walter Hege und das Naumburger Notgeld
Ursula Dittrich-Wagner
Walter Hege ist national und international als Architekturfotograf bekannt
geworden, der nicht nur die Figuren des Naumburger und des Bamberger Domes
durch seine kunstvollen Aufnahmen der Vergessenheit entrissen hat. Er hat
die Tempel Griechenlands fotographiert und das barocke Franken, er hat Bildbände
veröffentlicht, die in Fachkreisen noch heute als Pionierleistungen geschätzt
werden. Den Naumburgern jedoch ist er zuallererst als Schöpfer jener
Notgeld-Scherenschnitte mit den Kirschfest-Sagenmotiven in Erinnerung geblieben,
die er als junger Mann angefertigt hat. Dabei war es eher zufällig, daß
der Stadtrat und Hege-Freund Ernst Heinrich Bethge bei den Magistratsberatungen
über das neue Notgeld jene Scherenschnittfolge ins Spiel brachte, die
Walter Hege und sein Freund Heinz Kinder auf Anregung Bethges für die
Aufführung des Schattenspieles "Die Hussiten vor Naumburg"
im März 1920 in Hellerau bei Dresden beigesteuert hatten.
Notgeld war in
Deutschland schon seit dem Jahr 1914 bekannt, denn eine der Folgen des ersten
Weltkriegs war eine anhaltende Kleingeldknappheit, weil das Silber und dann
auch alle anderen für die Münzprägung verwendeten
(Ersatz-)Metalle rar und teuer wurden. Die Anzahl der Ausgabestellen - zumeist
Städte - erhöhte sich von geschätzten 400 in den ersten
Kriegsjahren bis auf über 1400 am Ende des Krieges und in den ersten
Nachkriegsjahren.
Das
Naumburger Notgeld von 1917. (Die erste von zwei bekannten Versionen.)
Die Stadt Naumburg hatte
schon im Kriegsjahr 1917 eigenes Ersatzgeld drucken lassen, um den durch
Metallknappheit bedingten Kleingeldmangel zu beheben: schlichte Scheine auf
einfachem Papier für den lokalen Geschäftsverkehr, die zu einem
festgesetzten Termin wieder gegen gültige Zahlungsmittel einzutauschen
waren. Diese Scheine - zwei Serien sind bekannt - hatten seinerzeit
unauffällig ihren Dienst getan, waren zur gegebenen Zeit
zurückgetauscht worden und sind deshalb heute sehr selten. Bald hatte sich
aber unter den Kommunalverwaltungen herumgesprochen, dass man mit der
Herausgabe von Notgeld nicht nur ein Mittel gegen den Kleingeldmangel in der
Hand hatte, sondern daß damit auch Geld verdienen konnte, wenn man es
richtig anfing. Daher sollte das Ersatzgeld, das der Naumburger Magistrat ab
1920 herausgeben wollte, zur Kategorie "Künstler-Notgeld"
gehören, wie es damals bereits von zahlreichen deutschen Städten
ausgegeben worden war und für das sich trotz der schlechten Zeiten ein
ausgeprägter Sammlermarkt gebildet hatte. Aufwendig gestaltete
Notgeldscheine, die in den Schubladen von Sammlern verblieben statt zum Aufruftermin
gegen harte Währung eingelöst zu werden, brachten gute Gewinne und
deswegen legte auch der Naumburger Magistrat großen Wert darauf, die
Herstellung der Scheine in die Hand ausgewiesener Fachleute zu geben.
Nachdem man bei mehreren Städten Referenzen
eingeholt hatte, vergab man den Druckauftrag an die in Notgelddingen erfahrene
Buch- und Kunstdruckerei Adolf Schwarz in Lindenberg im Allgäu. Der Magistrat
verlangte nicht nur schnelle Lieferung, er legte auch "besonderen Wert"
auf "schöne, kräftige Farben" "wie beim Notgeld von
Pasing" (bei München). Bezüglich der Schattenbilder fragte
man aber doch vorsichtshalber an, ob Scherenschnittmotive überhaupt zu
empfehlen seien, oder ob die "Gesichtslinien" bei der Verkleinerung
zu undeutlich würden, "wodurch das ganze Bild wirkungslos werden
würde". Schwarz wußte die Stadträte in ihrem Anliegen
zu bestärken: "Der Gedanke, den 50-Pfennig-Schein in 5-6 Ausführungen
herstellen zu lassen, dürfte in Bezug auf die Sammler und dadurch die
finanziellen Erfolge für Sie nur vorteilhaft sein."
Die 6er Serie der Notgeldscheine mit Hege-Motiven. (Die Scheine
der ersten Auflage, bei denen der Pfg.-Aufdruck vergessen wurde, sind in beiden
Varianten wiedergegeben.)
Die Druckerei Schwarz knüpfte auch den Kontakt zu dem renommierten
Würzburger Bildhauer Heinz Schiestl (1867-1940), der sich zu jenem Zeitpunkt
bereits mit Notgeldentwürfen für 19 deutsche Städte profiliert
hatte. Ihm wurde die gesamte Gestaltung der Scheinvorderseiten sowie die
künstlerische Umrahmung der seiner Meinung nach „sehr gelungenen“
Scherenbilder auf den Rückseiten übertragen. Gleichzeitig
übernahm Schistl die Gesamtgestaltung eines 25-Pfg.-Scheins mit dem Bild
der
Die Druckerei Schwarz knüpfte auch den Kontakt zu dem renommierten
Würzburger Bildhauer Heinz Schiestl (1867-1940), der sich zu jenem
Zeitpunkt bereits mit Notgeldentwürfen für 19 deutsche Städte
profiliert hatte. Ihm wurde die gesamte Gestaltung der Scheinvorderseiten sowie
die künstlerische Umrahmung der seiner Meinung nach „sehr gelungenen“
Scherenbilder auf den Rückseiten übertragen. Gleichzeitig
übernahm Schistl die Gesamtgestaltung eines 25-Pfg.-Scheins mit dem Bild
der Wenzelskirche auf der Rückseite.
Nachdem die Nachfrage nach den ersten 4000 Hege-Serien mit je sechs
50-Pfennig-Scheinen ab Mitte November 1920 gerade auch aus Händlerkreisen
unerwartet groß war (die Händler-Nachfrage konnte zunächst gar
nicht voll befriedigt werden, obwohl man auch bei Großabnahme keine
Rabatte einräumte), bestellte der Magistrat schon drei Wochen später
eine zweite Auflage mit 20.000 weiteren Serien. Bei dieser Gelegenheit korrigierte
man vier Scheine, bei denen man die Aufschrift „Pfg.“ Vergessen hatte – wodurch
nun die erste Serie zum begehrten „Fehldruck“ avancierte.
Im Februar 1921 wurde Bethge beauftragt, die übrigen sechs Hussiten-Scherenschnitte
von Hege zu besorgen, um in einer dritten, auf zwölf Scheine erweiterten
Auflage das Naumburger Kirschfestlied komplett zu illustrieren. Der angestrebte
Erfolg blieb nicht aus: Händler und Sammler aus aller Welt kauften die
Geldscheine zum Teil in großen Mengen und bald mußte sich die
Stadt gegen Gerüchte von sagenhaften Gewinnen in Millionenhöhe wehren.
– Daß das Gewinnstreben tatsächlich eine wesentliche Antriebsfeder
der Notgeldproduktion war, erweist sich übrigens daran, daß die
Stadt, als die Sammlerpreise für die erste „Fehldruckserie“ stiegen,
noch im Mai 1921 5.000 Serien dieser vermeintlich Variante nachdrucken ließ...
Die 12er-Serie des Hege-Notgeldes. Teilweise wurde der Text gegenüber
der 6er-Serie verändert. Die Vorderseite ist komplett neu, rechts oben
sind die einzelnen Scheine mit Buchstaben von A bis M markiert.
Die Beliebtheit einer
weiteren - wiederum allein von Heinz Schiestl gestalteten Serie von sechs 75-Pfg.-Scheinen
mit Abbildungen der ehemaligen Stadttore (Druck Gebr. Parcus, München)
blieb weit hinter den Hege-Scheinen zurück, obwohl auch diese sich recht
gut verkauften.Der Ertrag des Notgeldhadels war für die Stadt dann
immerhin so groß - bis Ende 1921 waren der Stadtkasse über 900.000
Mark zugeflossen -, daß der Magistrat beschloß, mit diesen
Einnahmen die umfangreiche Rathausrenovierung zu bezahlen.
Für die Sammler rechnete sich die Investition übrigens kaum: da
die Notgeldscheine in enormen Mengen abgesetzt und aufbewahrt wurden, sind
sie auch heute noch sehr billig zu haben.
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ááá |
Drei Scheine aus Heges Edelacker-Serie
für Freyburg/Unstrut.
Für Walter Hege bedeuteten die Notgeldscheine einen ersten großen
Erfolg. Die Illustrationen der Kirschfestsage in ihrer mit skurriler Komik
gepaarten, leicht expressionistischen Formensprache wurden zu einem Naumburger
Wahrzeichen, das bis auf den heutigen Tag das Erscheinungsbild des Kirschfestes
mitbestimmt.
Heges Notgeld für Quedlinburg mit Motiven aus der Sage um Heinrich
den Vogler.
Weit weniger bekannt, wenngleich nicht weniger betrachtenswert sind jedoch
die anderen Scherenschnitte, die von der Hand Walter Heges überliefert
sind. Für mindestens fünf weitere Städte fertigte er Notgeld-Illustrationen,
wobei er sich an die bewährten Themen aus Sage und Geschichte hielt:
Für Freyburg a. d. Unstrut war es die "Edelacker-Sage", für
Quedlinburg Heinrich der Vogeler, für Frankenhausen die Vita Thomas Müntzers
im Bauernkrieg und für Detmold die Varus-Schlacht im Teutoburger Wald.
Stilistisch sind diese Scherenschnitte sehr unterschiedlich gehalten, die
Spannweite reicht von den sehr expressiven Darstellungen der Thomas-Müntzer-Bilder
bis zu den eher braven, an das Wandervogel-Kunstgewerbe gemahnenden Naturburschen-Silhouetten
der Quedlinburger Vogelherd-Serie.
Vier Scherenschnitte aus dem sechsteiligen Zyklus
zum Erlkönig
Die gelungenste Bildfolge ist aber wohl diejenige, die Hege für das Notgeld
der Stadt Jena anfertigte, das aber nicht in Druck ging: fünf Scherenschnitte
zu Goethes „Erlkönig“. (In den dreißiger Jahren brachte die Firma
Buderus Eisenkunstguß-Platten mit diesen Motiven auf den Markt.) Die
Original-Schnitte waren - ebenso wie die zwölf Hussitenbilder - von der
Stadt Naumburg angekauft worden und hingen bis in die Kriegsjahre im Rathaus,
wo sie allmählich in Vergessenheit gerieten. Als der damalige Leiter
des Naumburger Museums, Friedrich Hoppe, schließlich 1941 vorschlug,
die Scherenschnitte zur dauerhaften Aufbewahrung an das Heimatmuseum zu überstellen,
gab der damalige Stadtbaurat Schröter, vom Oberbürgermeister zur
Stellungnahme aufgefordert, seine zeittypische Einschätzung zu den Akten:
„Die Scherenschnitte Erlkönig sind als Kunstwerke wertlos. M. E. gehören
sie zur 'Entarteten Kunst' und gehören weder ins Museum, noch sollen
sie im Rathaus aufgehängt werden." Friedrich Hoppe ist es wohl zu
verdanken, daß diese Scherenschnitte (wie die zur Kirschfestsage) dann
doch bis heute im Museum erhalten geblieben ist.
Mehr zum Notgeld, besonders zu seinen kuriosen Ausprägungen finden Sie
unter
www.das-deutsche-notgeld.de/
http://www.museumnaumburg.de/Default_nix.htm?StGesch/notgeld.htm~mainFrame